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Wien

The Renter’s Paradise?

Quartiershäuser im Sonnwendviertel, z.B. GLEIS 21, einszueins architektur

Foto: Hertha Hurnaus

In Wien ist alles anders. Wien wächst seit Jahren rasant, und dennoch ist es hier leistbar geblieben. Seit dem Roten Wien setzt die Stadt Instrumente gegen Bodenspekulation ein und produziert leistbare Wohnungen. In den 1920er-Jahren legte die Stadtverwaltung ein gigantisches Grundstücksreservoir für ein Wohnbauprogramm an, von dem die Stadt bis heute profitiert. 

Die knapp zugeschnitten Wohnungen erhielten als Kompensation in die Wohnbauten integrierte Gemeinschaftseinrichtungen: Waschküchen, Schwimmbäder, Bibliotheken, Sportanlagen, medizinische Beratungsstellen, Vereinsräume und mehr. Für die Miete mussten nur etwa 4% des Einkommens aufgebracht werden. Die großzügigen Superblocks waren offen zur Stadt konzipiert, gehorchten aber auch einem disziplinierenden Reglement, das neben dem Wohnen auch Freizeitgestaltung, Hygiene, Kultur, Kindererziehung und politische Bildung miteinschloss. Die Stadt legte fest, wer wie und wo wohnen und leben sollte.

Große Strukturen aus den 1980er Jahren, Alterlaa, Harry Glück, 1985

Foto: Zara Pfeifer

Das Ende des Wohnbaus
(als Typologie)?

Nach Dekaden der Schrumpfung der Stadt bis zum Fall des Eisernen Vorhangs wurde Wien zu einer der am dynamischsten wachsenden Städte Europas. Durch eine kluge Bodenpolitik seit Anfang der 1980er-Jahre hat die Stadt noch genug Bodenreserven, um gemeinsam mit Bauvereinigungen und Genossenschaften günstige Wohnungen zu bauen, bereitzustellen und zu betreiben. Wien ist eine Stadt der Mieter:innen. Beinahe 80 Prozent der Bevölkerung lebt in Miete. Die Stadt Wien selbst trägt mit ihren 220.000 Gemeindewohnungen (mit der größten kommunalen Hausverwaltung Europas und 500.000 Menschen in unbefristeten Mietverhältnissen) und weiteren 200.000 Wohnungen im geförderten Wohnungsbau substanziell zu diesem Angebot an Mietwohnungen bei. Durch das enorme Wachstum in großen Arealen wurde die Wohnbauproduktion zur Stadtproduktion. Aus einer vormals schrumpfenden Stadt der monothematischen Wohnsiedlungen wurde eine wachsende Stadt der Quartiere. Bestimmte Quartiershäuser mit Zusatzfunktionen, von denen das ganze Quartier profitiert, stellen den vormals reinen Wohnbau in Frage und schaffen neue hybride Typologien.

77%

der 2 Millionen Wiener:innen wohnen in Miete.

Dachgarten Sargfabrik, BKK-2 Architektur, 1996

Pioniere: Dachgarten Sargfabrik, BKK-3 Architektur, 1996

Foto: Gili Merin

220.000

Gemeindewohnungen besitzt Wien.

Caring City

Der Top-down-Prozess garantiert Leistbarkeit des Wohnens, hat aber auch Folgen. Das Programm ist stark reguliert, lässt kaum Experimente zu und verhindert eine Eigenverantwortung der Bewohner:innen. Man nimmt die zur Verfügung gestellte Wohnung und kümmert sich um nichts. Bei Bewohner:innen erzeugt der Top-down-Prozess oft Apathie, in der Architektur oft Gleichförmigkeit. Das System öffnet sich für Baugruppenprojekte, doch für den normalen geförderten Wohnungsbau ist der Spielraum gering. Die AGENCY FOR BETTER LIVING fragt daher nach möglichen Ausweitungen des Systems, vor allem in Anbetracht einer Aging Society, zunehmender Armutsbetroffenheit und spürbaren Folgen der Klimaveränderung. Was benötigt Wohnbau in Wien, um zivilgesellschaftliches Engagement zu stärken? Wie geht man in der wachsenden Stadt mit Kulturen, Identitäten und oft fehlender Solidarität um? Was würde Wien zu einer wirklichen CARING CITY machen, in der nicht nur die Stadt für ihre Bewohner:innen sorgt, sondern wir alle Sorge tragen um die Stadt und um die Menschen, die darin leben?